21.2.05 – Harald Szeemann ist tot

Am vergangenen Freitagabend verstarb der 1933 in Bern geborene Großkurator an einem Lungenleiden. Er war der Pionier des Crossover und der Entgrenzung der Kunst. Schon seine erste Ausstellung widmete er – damals 24-jährig – Hugo Ball; sie hieß Dichtende Maler, malende Dichter. Mit When Attitudes Become Form: Live in Your Head, der documenta 5, Befragung der Realität – Bildwelten heute und dem Museum of Obesessions half er Fluxus, Konzept und Happening, sich in der Kunstgeschichte zu etablieren. Dass er der damals in starke politische Bewegung geratenen Gesellschaft die ästhetischen Formen zu geben verstand, war sein Talent.

Ohne die Bewegung der 68er und ihre Selbststilisierungen wäre auch die Entwicklung der Kunst undenkbar gewesen. Es war das Glück dieser Generation, mit alten Konventionen brechen zu können und Szeemann gehörte zu ihren beherzten Protagonisten. Dass freilich von Anfang an bei Szeemann auch privatistische Züge mitschwangen, zeigte sich in den 80er Jahren, als man das Projekt der 68er als gescheitert ansehen konnte. Mit Der Hang zum Gesamtkunstwerk entpolitisierte er sich zusehends und der romantische, holistische Aspekt seiner Persönlichkeit verband sich mit dem beginnenden Eskapismus der 80er Jahre. Immer stärker traten “Privatmythologien”, die er anlässlich der documenta 1972 als Begriff geprägt hatte, in den Vordergrund. In den 90er Jahren verschafft ihm die Re-Politisierung der Kunst unter Ausblendung der gesellschaftlichen Bedingungen neue Aufmerksamkeit und Relevanz. Gleich zweimal – 1999 und 2001 – “rettete” er die Biennale in Venedig vor dem künstlerischen Ruin.

Als wichtigster Stichwortgeber und Gestalter einer enorm erfolgreichen Kunstwelt hat er sich bleibenden Ruhm erworben. Wie kein anderer blieb er institutionell unabhängig und erfand das Berufsbild des unabhängigen Kurators, der mit Ausstellungskonzepten unseren Blick auf die Welt verändert. Die Entgrenzung der Kunst und ihre heutige Kategorienlosigkeit ist unter anderem auch sein Verdienst oder sein Verschulden – je nachdem, wie man es betrachten will. Aus heutiger Sicht erscheinen sämtliche Pathosformeln der Nachkriegsrevolution im Westen als verbraucht, weil durchweg akzeptiert. Die Ironie der Freiheit machte auch vor ihm nicht halt. Diente ihm in den 80ern der noch Genie-Künstler als die Vermittlungsfigur, die die Welt zusammenhalten sollte, ist inzwischen auch diese Institution zerbrochen. Entsprechend zurückhaltend wurden seine letzten Ausstellungen aufgenommen. Der Meister der großen Gefühle war in einer Welt der kleinen Ideen nicht mehr zu Hause.